Die Truchsess’schen Wirren

Die Truchsess’schen Wirren

von Heribert Hillenkamp

Papst Gregor XIII bestätigte die Wahl des als tugendhaft und zuverlässig geschilderten, am 5.12.1577 gewählten Gebhard Truchsess von Waldburg als Erzbischof, zumal die Annahme berechtigt war, dass er seinem Onkel, dem Kardinal Otto Truchsess von Waldburg, Bischof zu Augsburg, gestorben 1573 nacheifern würde. Gebhard war 30 Jahre alt ,als er die Regierung antrat. Anfänglich eiferte er für den alten Glauben. Er beauftragte den Dechanten Johann Nopelius* im westlichen Teile des Erzstiftes eine Untersuchung gegen die Geistlichkeit anzustellen.

Bald jedoch änderte sich sein Verhalten. Gebhard sah bei einer Prozession die (in allen Niederschriften) als Schönheit gerühmte Agnes von Mansfeld, Tochter des Grafen Johann von Mansfeld zu Eisleben, die im Damenstift zu Gerresheim gewesen, nun der neuen Lehre anhing und muss sich leidenschaftlich in sie verliebt haben. 1578-1579 wohnte sie bei ihrer Schwester Maria in Köln, die dort mit dem Baron von Kreichingen verheiratet war. Gebhard lud die Eheleute, die auf einer Reise nach Thüringen begriffen waren nach Brühl, wo Gebhard Hof hielt, ein. Nach einem glänzenden Feste reiste nach 14 Tagen das Ehepaar weiter, die Nonne Agnes verblieb bei Gebhard, begab sich dann, im Oktober 1579 zum Grafen von Neuenar nach Moers, wo Gebhard sie auch besuchte. 1580 räumte er, um Agnes täglich zu sehen, dem Schwager in Bonn eine Wohnung ein.

Diesem unkorrekten Verhältnis ist jedoch nicht die heutige Bedeutung beizumessen, fiel sein Tun doch nicht aus dem Rahmen der damaligen Gepflogenheiten zuvor und auch nachher. Erschwert und ärgerlich im Sinne des alten Glaubens musste es jedoch wirken, dass Agnes eine ehemalige Nonne war und der neuen Lehre anhing. Da Gebhard zudem, das darf man als sicher annehmen, unter dem Einfluss der schönen Agnes stand, diese aber Verbindung hatte mit dem energischen und eifrigen Grafen von Neuenar, so konnte es nicht ausbleiben, dass Gebhard Truchsess von Waldburg im Sinne der Reformation bearbeitet und beeinflusst wurde.

(Anmerkung: Johann Nopelius aus Lippstadt, später Weihbischof in Köln, gestorben 6.7.1556, ist Gründer der Studienstiftung Nopel. Für die Nachkommen des Bernard Hillenkamp und Elisabeth Nolten besteht über Cale die Verwandtschaft und Berechtigung an der Stiftung)

Wenn es nur eine geheime Geliebte gewesen wäre, wie sie sein Nachfolger, Ernst von Bayern, auch gehabt, hätte wohl nicht viel Aufhebens darüber zu sein brauchen. So aber standen hinter Agnes die tatkräftigsten Anhänger der Reformation in Kurköln und Umgebung. Für Gebhard lag die Sache wirtschaftlich ungünstig. Da er ohne Vermögen war, hätte er bei einer Heirat oder bei einem Übertritt, zumal er die Priesterweihe empfangen hatte, als Erzbischof abdanken müssen und wäre seiner Einkünfte ledig gewesen. Das wird ihm und auch den Anhängern nicht erwünscht gewesen sein, die hierin ja keinen Fortschritt erblickt hätten. Eine Weile stand er unschlüssig zwischen den Parteien, zeigte sich durch seine Maßnahmen als guter Katholik und war zugleich gut Freund der Reformierten. Agnes entsagen konnte er wohl nicht mehr und musste, vielleicht gegen seine innere Überzeugung, sich allmählich den Reformierten gefügig zeigen. Man ist geneigt anzunehmen, dass Gebhard daran innerlich zu tragen hatte, den einzigen Weg wählte, der ihm den Umständen nach einstweilen verblieb: Entscheidungen hinauszuschieben; im Übrigen jedoch seine innere Unausgeglichenheit in wüste Gelage und Feste zu überbrücken suchte. So hat er sich einige Jahre durchlaviert, sich beiden Teilen anpassend.

Wohl um Gebhard zwangsläufig zum Entschluss zu zwingen, überraschten die Brüder der Agnes, die Grafen Hoyer und Christian von Mansfeld mit bewaffneten Freunden die Liebenden im Schloss zu Bonn. Es kam zu erregten, wohl künstlich herbeigeführten Auseinandersetzungen; die Brüder sahen in dem Verhältnis eine Entehrung ihrer Familie, wollten ihre Schwester lieber erwürgen, Gebhard aber zur Rechenschaft ziehen, falls er nicht durch eine christliche Ehe die Schmach beseitigen würde. Eine Regie lässt sich unschwer erkennen; gedrängt von dem Strassburger Canonikus von Mansfeld, dem Baron von Kreichingen und anderen Edelleuten verpflichtete sich Gebhard, Agnes zu heiraten und wollte auch auf seine Würde als Erzbischof verzichten und sein Amt niederlegen. Letzteres vielleicht aus der Verärgerung über den Zwang, den man ihm auferlegte, weil das ja nicht die Absicht der Beteiligten sein konnten. Man brachte Gebhard deshalb schnell von diesem Gedanken ab, was angesichts seiner Mittellosigkeit unschwer gelingen musste, um die sicher lange erwägten und vorbereiteten Maßnahmen auszuführen, das Erzbistum Köln gegebenenfalls mit Gewalt gegen Papst und Katholiken zu behaupten und zu reformieren.

Man muss Gebhard und seinen Anhängern zugestehen, dass sie diplomatisch klug handelten – weniger korrekt -, wodurch ihre Vorhaben beinahe gelungen wären. Anderseits, nicht nur diplomatische, sondern herzliche Liebenswürdigkeit, verbunden mit Großzügigkeit und Freiheit, hatte Gebhard einen großen Teil des einflussreichen wie auch jüngeren, kriegerischen Adels gewinnen lassen. Kaspar von Fürstenberg hatte keine Ursache, sich in dieser Hinsicht zu beklagen; er stand in bestem Ansehen und erhielt am 28.3.1583 als tatsächlichen Gunstbeweis die Belehnung des Gutes Heßbeck zugesichert. “ 28.3.1581 uf mein anhalten und bitt sagen Ihre Churf.gn. mir die Belehnung uf den Hoff und gut Hesbicke zu, auß gnaden als heingefalen Lehen – Godt sei lob und Danckh und meinem gnedigsten Hern“
Während Gebhard so im Lande den Adel und führende Bürger und Beamten für sich gewinnen und die Entwicklung allmählich zum Vorteil der Reformierten gestalten konnte, versuchten seine Anhänger in Köln die Freistellung der Religion vom Rate der Stadt zu erzwingen. Das gelang nicht, weil der Rat sich zur Wehr setzte. Außerdem hoffte Gebhard auf den einberufenen -1582- Reichstag zu Augsburg, wo er mit Hilfe der protestantischen Fürsten, da die Freistellung der Religion zur Debatte stand, Beschlüsse herbeizuführen gedachte, die ihm die legale Machterhaltung gestatten würden.

Gebhard sandte Fürstenberg nach Augsburg, der ihn dort mit Auftritt, Sitz und Stimme beim Kaiser Rudolf II vertrat.

„1.7.1582, ich hab mein gnedisten Hern standt, reidepflatz, Sitz und Stim versehen“. Im übrigen lässt Gebhard ihn – nicht ohne Absicht – ohne Information. „9,7. Ahn meinen gnedigsten Hern eiferig umb schickung der Instruction geschreben. 12.7. die Freistellung gehet ahn. 13.7. Widerumb heftig ahm meinen gnedigsten Hern umb Schickung der Instruction geschreben. 15.7. Kumbt der Postmeister von Cölln ahn, bringt zeitung mein gnedigster Her khomme in der Person ahn.“ Gebhard kam aber nicht, nach Ennen „Geschichte der Reformation im Bereich der alten Erzdiözese Köln, Seite 262, heisst es dieserhalb: „Er hätte notwendig gegen die von ihm gewünschte Reformation in Cöln sich erklären, oder seine Pläne vor der Zeit enthüllen müssen.“

„18.7. Die Freistellung der Teufel wird widerumb
lebendig. 2/8. meinem g. Hern eigentlich (unverholen) zugesehreben, waß hieselbst von Irer Churf, gn. allenthalben geredt werde.“

Die Beschlüsse und Unterstützungen, die Gebhard erwartete, kamen nicht. Nur eine Fürbitte für die Freistellung:

„Der Augsprurgisehen Confessionsverwandten Stände, Räth, Bothschafften und Gesandten Intercessionsschrifft an den Erzbischoffen zu Cölln, der Augspurgischen Confession verwandten Bürger zu Cölln halben“

vom 19.9.1582, So war den Wünschen Gebhards und der Reformierten nicht der erwartete Erfolg beschieden. Begreiflicherweise konnte auch der Kaiser kein Interesse daran haben, ein weiteres protestantisches Kurfürstentum entstehen zu lassen; da die drei weltlichen Kurfürsten bereits Protestanten geworden waren, hätten sie schließlich im Rate der Kurfürsten die Majorität erhalten. Im Gegenteil, er war auf die Erhaltung der Macht bedacht; nicht ohne Grund versuchte Österreich und Bayern, die ja verwandt waren, alle katholischen Bistümer an Prinzen ihres Hauses zu bringen, Hatte doch, selbst unter Häufung geistlicher Würden, was vom Papst verboten war, der Nachfolger Gebhards, Ernst von Bayern, Erzbischof von Köln, noch Freising, Hildesheim, Lüttich und Münster auch die Reichsabtei Stablo und die Verwaltung Osnabrück erworben und bemühte sich später, auch noch Paderborn zu bekommen.

„15.9.1582 mein gn. Her schreibt, und erleubt mir widerumb abzureisen.“

22.9. Abreise mit dem Landdrost Eberhard Graf zu Solms.

„Gott sei globt daß ich auß den unfletigen losen hendeln bin!“

Auf der Heimreise besucht Fürstenberg den ehemaligen Erzbischof Salentin von Isenburg, ein treuer Anhänger der katholischen Seite.

Inzwischen war man in Westfalen in beiden Lagern nicht untätig geblieben. Energisch setzte sich das Domkapitel, die drohende Gefahr erkennend, zur Wehr. Der Hauptgegner Gebhards, Friedrich, ein herzoglicher Prinz von Sachsen-Lauenburg, kam nach Augsburg und erklärte dem Reichstag, die Mehrheit des Kapitels sei unentwegt bereit an der Verfassung des katholischen Regimes der Erzdiözese festzuhalten.

Von Gebhard und seinen Anhängern wurden schon während der Beratungen des Reichstages – die Maßnahmen zum bewaffneten Umsturz erwogen. Bereits am 1. August reiste Gebhard nach Westfalen, zeigte sich aber immer noch als guter Katholik, schickte sogar am 8.9.1582 den Jesuiten Michaelis an den Rat Kleinsorgen in Werl, um dort über die Anlegung einer Jesuitenschule zu verhandeln.

In den verschiedenen Orten, die Gebhard besuchte, gab es wüste Gelage. Mit seinen Freunden und Hauptleuten beratend und gewaltig zechend, zog er durch Westfalen. Für Gebhard in Rüstung und Bereitschaft waren u.a.: Wolter von Karthaus, Caspar von Heigen, Raban von Hanxleden, Temme von Hoerde, Ludwig Rump, Christian Wulf usw.

Fürstenberg von Augsburg kommend, war kaum in Bielstein angelangt, als er zum Bericht nach Hirschberg befohlen wurde. Auf seine Entschuldigung hin wurde er in Geseke erwartet:

„Zeitlich zu Geseke ankhomen. Mein gn. Her hatt deß abents die Stifsjunfern daselbst zu gaste, Ire Churf. gn. heißen mich willkum vom Reichßtage, wir sein gans lustig. 18. Mein gn. Her zeucht frue auf Boick, zu dem Ertzbischove von Bremen“ Am 19. kommen die beiden Landesherren zusammen nach Geseke. „20. ein Compromiß erledigt, wirdt darnacher schendtlich gesoffen. 21. Die beiden Hern zihen nach Hirtzberg, und wirdt daselbst geschwindt gesoffen. Waß sonsten die Witz oder Verstendniß gewesen, beger ich nicht zu wißen, Deus et tempus omnia. 23. Vurmitags rath gehalten. Wirdt widerumb heßlich gesoffen“

Am 4. November war Gebhard wieder in Bonn, dass er besetzen ließ. Er ordnete an, dass in „fürfallenden“ Sachen den Anweisungen des Erzbischofs von Bremen Folge zu leisten sei, gab am 9.11. dem Kellner Johann Rham in Arnsberg Anweisung, den Erzbischof von Bremen ebenso aufzuwarten, wie es dem Landesherrn gebührt.

Verfasst von Heribert Hillenkamp 1933